Im Januar 2024 startet ein neues Projekt zur Erforschung von Biomarkern und Krankheitsmechanismen von ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom) am Institut für medizinische Immunologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Das Vorhaben mit dem Titel „Zellmorphologie, Zellverformbarkeit und Mikrogerinnsel bei ME/CFS“ ist das Promotionsprojekt von Annick Fehrer, Biochemikerin und Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen. Gefördert wird das Projekt über drei Jahre von der ME/CFS Research Foundation und der Lost Voices Stiftung, die die Kosten zu jeweils 2/3 und 1/3 übernehmen. Bei dem Projekt handelt es sich um die erste gemeinsame Projektfinanzierung der beiden Stiftungen.
Projektziele und Ablauf:
Das Projekt wird mögliche Veränderungen in Gestalt (Morphologie) und Verformbarkeit von Blutkörperchen (Zellverformbarkeit) sowie das Auftreten sogenannter Mikrogerinnsel („microclots“) bei ME/CFS-Patient:innen untersuchen. Umgesetzt wird das Projekt in enger Kooperation mit Prof. Dr. Jochen Guck und Dr. Martin Kräter, Forschende am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen. Das Projekt erforscht auch, ob Zellmorphologie, Zellverformbarkeit und Mikrogerinnsel zur Diagnose und als prognostische Marker im Rahmen von klinischen Studien zur Therapie von ME/CFS verwendet werden können.
Das Arbeitsprogramm ist hierfür in drei Themenfelder unterteilt.
Erstes Thema: Mithilfe des Verfahrens der Verformungszytometrie („deformability cytometry“) werden Blutproben von insgesamt 500 Patient:innen untersucht. Es werden sowohl Proben von Patient:innen mit ME/CFS nach COVID-19, wie auch nach anderen infektiösen Auslösern, untersucht. Zum Vergleich dienen Proben von alters- und geschlechtsentsprechenden Kontrollpersonen, die an COVID-19 erkrankt waren aber keine anhaltenden Symptome entwickelt haben. Zusätzlich werden Proben von Patient:innen analysiert, die an bereits laufenden Therapiestudien der Nationalen Klinischen Studiengruppe (NKSG) teilnehmen. Hierzu werden Proben von Patient:innen jeweils vor und nach Abschluss der Therapie untersucht. Die Forschenden erhoffen sich dadurch Erkenntnisse über den möglichen Einfluss von Veränderungen der Blutkörperchen und das Vorkommen von Mikrogerinnseln auf den Therapieeffekt zu gewinnen. Die Ergebnisse werden im Zusammenhang mit weiteren klinischen Messwerten und Laborwerten analysiert.
Zweites Thema: Über den Nachweis von Veränderungen der Blutkörperchen und kleinsten Blutgerinnseln soll ermittelt werden, ob sich ME/CFS von anderen Erkrankungen (Multiple Sklerose oder Tumorerkrankungen) unterscheiden lässt. Proben von Patient:innen mit einer vorangegangenen COVID-19-Erkrankung werden zusätzlich darauf untersucht, ob sich SARS-CoV-2 spezifisches Spike-Protein in den Mikrogerinnseln nachweisen lässt. Die erfassten Biomarker sollen schließlich auf ihre Eignung zur spezifischen Diagnose von ME/CFS und Post-COVID-Syndrom überprüft werden.
Drittes Thema: Um die Ursachen für Zellveränderungen und das Auftreten von Mikrogerinnseln besser zu verstehen, werden Veränderungen der Gefäßinnenwände (Endothel) und des Gerinnungssystems sowie Autoantikörper-induzierte Blutgerinnung und das anhaltende Vorkommen von Bakterien oder Viren (z. B. SARS-CoV-2 oder Epstein-Barr-Virus-Proteine) in Blutproben untersucht. In Laborversuchen soll zudem untersucht werden, wie sich die Gabe von Blutplasma aus den Proben der verschiedenen Patient:innenkohorten auf Kulturen gesunder Zellen (in vitro) auswirkt.
Warum fördern wir dieses Projekt?
Das Projekt erfüllt die in der Förderstrategie der ME/CFS Research Foundation definierten Ziele und wird von der Lost Voices Stiftung im Rahmen ihres Stipendienprogramm gefördert, das die wissenschaftliche Qualifizierung mit Schwerpunkt ME/CFS finanziell unterstützt.
Die inhaltlichen Schwerpunkte und Forschungsziele entsprechen den im Leitfaden von der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS und Long COVID Deutschland für ME/CFS identifizierten Prioritäten aus den Bereichen der Grundlagen- und Diagnostikforschung, die von der ME/CFS Research Foundation und der Lost Voices Stiftung unterstützt werden. Von zentraler Bedeutung ist auch die Berücksichtigung von Proben von Patient:innen mit ME/CFS nach unterschiedlichen infektiösen Auslösern. Die enge Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen bietet zudem die Möglichkeit für interdisziplinäre Vernetzung und eine Erweiterung der ME/CFS-Forschungslandschaft an der Schnittstelle von exzellenter klinischer Forschung und Grundlagenforschung.
Die im Projekt eingesetzte Analysetechnik der Verformungszytometrie wurde am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen weiterentwickelt. Dr. Martin Kräter hat die Technologie in seiner Posterpräsentation auf der ME/CFS Fachkonferenz im Mai 2023 näher vorgestellt. Im Rahmen der Fachkonferenz erhielt der Forscher den ersten Preis für sein Poster mit Ergebnissen aus Untersuchungen von Blutproben. Der Preis wurde von der Lost Voices Stiftung dotiert.
Für ME/CFS gibt es Stand heute weder eine zugelassene Behandlung, noch konnten die Krankheitsmechanismen bisher ausreichend aufgeklärt oder Biomarker zur Diagnose in die klinische Praxis überführt werden. Wir freuen uns daher sehr, im Rahmen des ersten gemeinsamen Förderprojekts der ME/CFS Research Foundation und der Lost Voices Stiftung, einen wichtigen Beitrag zur weiteren Aufklärung der Krankheitsmechanismen mit direkten Implikationen für die zukünftige Diagnosestellung und Entwicklung von wirksamen Therapieoptionen leisten zu können.
Nach dem Start Anfang 2024 und im weiteren Verlauf des Projekts wird die ME/CFS Research Foundation und die Lost Voices Stiftung näher über das Vorhaben berichten und tiefere Einblicke in die Forschungsarbeiten der Beteiligten gewähren.
Wegweisende Forschung zu ME/CFS fördern: Langjähriges Engagement der Lost Voices Stiftung
Der wesentliche Pfeiler unserer Stiftungsarbeit ist die Förderung dringend benötigter Grundlagenforschung zu ME/CFS. Bis 2021 existierte in Deutschland kaum biomedizinische Forschung, die staatlich gefördert wurde. Denn es gibt bisher keinen diagnostischen Biomarker und keine wirksamen Behandlungen. Nicht einmal 10 % der Betroffenen in Deutschland verfügen über eine richtige Diagnose. Es dauert oft Jahre, bis eine Diagnose gestellt wird, viele werden fehldiagnostiziert und mit potenziell schädigenden Therapien behandelt. Nur sehr wenige Ärztinnen und Ärzte in Deutschland kennen sich mit dem Krankheitsbild ME/CFS aus. Die Versorgungslage für Betroffene ist unzureichend.
Bereits vor der Pandemie waren nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung etwa 350.000 bis 400.000 in den Jahren 2018 und 2019 an ME/CFS erkrankt. Für das Jahr 2021 waren es knapp unter 500.000 Betroffene. ME/CFS wird häufig durch Viren, einschließlich Coronaviren, ausgelöst. Der Handlungsdruck ist durch die zunehmende Anzahl von Post-COVID-Erkrankten, die schwere Verläufe bis hin zum Vollbild von ME/CFS entwickeln, gestiegen.
Wir fördern mit unserem Stipendienprogramm die Forschung zu postviralen Krankheiten am Charité Fatigue Centrum (CFC) in Berlin und dem MRI Chronische Fatigue Centrum für junge Menschen (MCFC) der Technischen Universität München. Wir wollen, Studierende und junge Forschende frühzeitig für ME/CFS zu sensibilisieren und ihr Interesse zu wecken, auf diesem herausfordernden Forschungsgebiet tätig zu sein.
Diese Pionierarbeit braucht Ihre Unterstützung. Ihre Spende hilft uns, dieses wichtige Förderprogramm weiterzuführen und die Erforschung von ME/CFS aktiv unterstützen. Unserer Stipendienprogramm leistet einen wichtigen Beitrag zur Forschungsförderung. Ein Engagement, das allen zugutekommt, denn ME/CFS kann jeden Menschen, jeder Altersgruppe, Geschlechts oder ethnischer Gruppe treffen.