Am 12. Mai ist internationaler ME/CFS-Tag. In diesem Jahr wiederholt sich das Datum zum dreizigsten Mal. Durch die weltweite Corona-Pandemie bekommt der diesjährige Awareness-Tag eine besondere Bedeutung.

Hannover, 12.05.2022. Seit Jahrzehnten leben Menschen nach einer Virusinfektion oft schwer erkrankt ohne angebrachte Versorgung und medizinische Betreuung. Postvirale Erkrankungen kamen bisher kaum in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung vor. Mit dramatischen Folgen für die Betroffenen. Diese Lage muss sich dringend ändern. Betroffene und Angehörige machen weltweit auf die Erkrankung aufmerksam und kämpfen für mehr Forschung und Unterstützung. Vor der COVID-19-Pandemie waren geschätzte 250.000 Menschen an Myalgischer Enzephalomyelitis/ Chronisches Fatigue-Syndrom, kurz ME/CFS, erkrankt. Die Betroffenenzahl dürfte sich aufgrund der Pandemie erheblich vergrößert haben.

Im Zuge der Corona-Pandemie hat ME/CFS bemerkenswert an Sichtbarkeit gewonnen, da viele Überlebende von COVID-19 über die Art von tiefer Erschöpfung, kognitiver Beeinträchtigung, orthostatischer Intoleranz, wiederkehrenden Rückfällen und anderen medizinischen Beschwerden berichten, die für ME/CFS charakteristisch sind. Es mehren sich die empirischen Hinweise [1], dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 bei Infizierten zu Spätfolgen führen kann. Diejenigen, die ein Long-COVID entwickeln, können ME/CFS- Diagnosekriterien erfüllen. Damit ist zu befürchten, dass durch die Pandemie sich die Zahl von ME/CFS-Erkrankten erheblich vergrößern wird. Umso wichtiger ist es, genau jetzt geeignete Strukturen und multidisziplinäre Teams aufzustellen, klinische Anlaufstellen, Diagnose- und Versorgungszentren und Angebote in der Zuhause-Versorgung für Menschen mit ME/CFS und Long-COVID bzw. Post-COVID zu schaffen. Langsam wächst das Bewusstsein, dass die Medizin über Jahrzehnte Folgeerkrankungen nach Infektionen nicht ernst genommen hatte und es an Behandlungsoptionen und Medikamenten fehlt. Menschen mit ME/CFS wurden und werden häufig mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen und teilweise massiv stigmatisiert. Das ist einer der Gründe, wieso es noch immer an Versorgungskonzepten, geschulten medizinischen und pflegerischen Personal und medizinischen Antworten zu Post-COVID und ME/CFS fehlt.

ME/CFS ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung mit chronischem Verlauf und hoher Komplexität.

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu ME/CFS und die dazukommenden Erfahrungen aus der Coronazeit auch bei Long/Post-COVID führen zu einem besseren Verständnis. So ist anders als ME/CFS „Long-COVID“ in aller Munde. Auch wenn nicht alle mit Long-COVID an ME/CFS erkranken, können doch viele chronische Verläufe einer COVID-19-Infektion zu Post-COVID und damit zu ME/CFS führen. Diese Erkenntnisse sorgten bereits, dass Leitlinien zu ME/CFS große Änderungen erfuhren. So veröffentlichte Ende 2021 das britische NICE (National Institute for Health an Care Excellence) eine umfassende überarbeitete Leitlinie für ME/CFS. In wenigen Wochen folgt auch in Deutschland eine Veröffentlichung der aktualisierten S3-Leitlinie „Müdigkeit“, die sich künftig an den Empfehlungen aus der NICE zu ME/CFS anlehnt.

Der Handlungsbedarf ist enorm. Es bedarf großer Anstrengungen die neuen Leitlinien umzusetzen und die Ärzteschaft davon zu überzeugen, sich an den neuen Empfehlungen zu orientieren.

In der schriftlichen Anhörung an den Niedersächsischen Landtag anlässlich der Beratung „Menschen mit Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS) zu unterstützen“ waren daher einige der Kernforderungen der Lost Voices Stiftung, die Einrichtung von Spezialambulanzen an Universitätskliniken, Schaffung von spezialisierten Klinikbetten und Einrichtung von Beratungsstellen und Schaffung von geeigneten Pflegeplätzen angepasst an den besonderen Bedürfnissen schwererkrankter Menschen mit ME/CFS.

Dieser Mangel wurde jetzt zwar von der Politik erkannt. Doch die Strukturen, aber auch die Bereitschaft der Kliniken für geeignete Anlaufstellen müssen erst nach und nach geschaffen werden. Es fehlt noch immer eine notwendige Finanzierung von Forschung, Versorgung und Pflege. Nach wie vor gibt es bisher kaum biomedizinische Forschung in Deutschland.

Die Lost Voices Stiftung fördert bereits seit 2017 mit ihrem Stipendienprogramm die dringend benötigte Grundlagenforschung zu ME/CFS. Bis heute hat die Lost Voices Stiftung 20 junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einem Stipendium unterstützt. Die Forschung zu postviralen Krankheiten wird aktuell am Charité Fatigue Centrum in Berlin und dem MRI Chronische Fatigue Centrum für junge Menschen (MCFC) der Technischen Universität München gefördert. Dieses Engagement soll noch weiter ausgebaut werden. Jede Spende hilft, dieses wichtige Förderprogramm weiterzuführen und damit die Erforschung von ME/CFS aktiv zu unterstützen.

[1] Kedor et al., 2021; Mancini et al., 2021; Jason und Islam, 2022.